Soziale Gerechtigkeit
20. September 2017Globales Lernen & Upcycling
10. Oktober 2017Der Wirtschaftsimperativ fordert immer mehr. Mehr Produktivität verspricht mehr Wohlstand und mehr Wohlstand bedeutet mehr Glück. Stimmt das? Lässt das Glücksgefühl nicht schneller nach, sobald ein gewisses Wohlstandsniveau erreicht ist?
Die ständige ökonomische Expansion überschreitet gnadenlos die ökologischen Belastungsgrenzen der Erde und verschärft die Verteilungsungerechtigkeit, anstatt Armut weltweit zu minimieren. Wirtschaftliches Wachstum ist selten ohne ökologische Schäden zu erreichen. Vorstellbar, dass das Wirtschaftswachstum irgendwann an Ressourcenengpässen scheitert.
Wissenschaftler*innen der Universität Oldenburg haben dazu eine Alternative entwickelt: Ein Wirtschaftssystem, das ohne Wachstum funktioniert. Die Postwachstumsökonomie berücksichtigt dabei die natürlichen Grenzen des Ressourcensverbrauchs und bemüht sich um einen möglichst geringen Rohstoffverbrauch. Regionale Selbstversorgungsmuster ersetzen dabei einen Teil der industriellen, global arbeitsteiligen Wertschöpfungsprozesse.
Postwachstum
die Welt schrumpft sich gesund
Überkonsum erschöpft mehr als nur die natürlichen Ressourcen dieser Welt. Es führt zum Konsum-Burnout. Die Lösung ist weniger Konsum und Produktion. Dieses radikale Umdenken wird von Aktivist*innen und Wissenschafler*innen vorausgesetzt, und ein Wachstumsrückgang von Wirtschaft und Finanzmärkten eingefordert. Dieser Paradigmenwechsel steht im Kontrast zur neoliberalen, ökonomischen Theorie und Praxis, die die Ressourcensteigerung und Energieeffizienz im hiesigen Wirtschaftssystem als Lösung sehen.
Erste Schritte
Der Ursprung dieser zivilgesellschaftlichen Bewegung „décroissance“ liegt in Frankreich, in Deutschland ist sie als Postwachstum und weltweit unter dem Begriff Degrowth bekannt.
Anstatt die heutige Wirtschaftsform zu erhalten, visionieren die Vordenker*innen, wie wir in der neuen Degrowth-Gesellschaft leben werden. Sie schaffen regionale Wirtschaftsmärkte, eine gerechtere Verteilung von Einkommen und Ressourcen, neue demokratischere Institutionen, und Konsummuster, die sich auf das Wesentliche beschränken.
Der Umweltökonom Niko Paech benennt fünf Schritte zum Degrowth:
- Sich von jeglichem Überfluss entkoppeln.
- Das ideale Verhältnis zwischen Selbst- und Fremdversorgung finden, zum Beispiel Tauschen und Teilen oder Dinge selbst produzieren.
- Regionale Märkte und verkürzte Wertschöpfungsketten vorziehen.
- Produkte durch Reparieren oder Upcycling langlebiger machen.
- Regionalwährung nutzen oder ein individuelles Emissionskontingent für die jährliche CO2-Bilanz einführen.
Gemeinwohl-Ökonomie
Zum Wohle der Gemeinschaft
Das von Christian Felber entwickelte Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie gibt Denkanstöße für ein alternatives Wirtschaftssystem, das statt auf Konkurrenz und Gewinnmaximierung auf Kooperation und Solidarität setzt. Ehrlichkeit, Vertrauen und Wertschätzung sind die Grundlagen menschlicher Beziehungen. In der Gemeinwohl-Ökonomie führen dieselben Werte und Verhaltensweisen zum Erfolg eines Unternehmens wie in privaten Beziehungen.
Wie wird eine Gemeinwohl-Bilanz erstellt?
Wirtschaftlichen Erfolg wird nicht anhand der Gewinnmaximierung bemessen, sondern mittels eines Punktevergabesystems, welches das Wohl der Gemeinschaft in den Mittelpunkt stellt: Die Achtung der Menschenwürde, Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und demokratische Mitbestimmung. Ethisches Handeln von Unternehmen wird belohnt und rücksichtsloses Agieren sanktioniert.
In der Bewertung von Unternehmen werden drei Ebenen unterschieden: die kooperierenden Firmen und Zulieferer, die Mitarbeiter*innen und die Kund*innen mitsamt der Gesellschaft. Für faire Löhne und gute Arbeitsbedingungen bekommt ein Unternehmen Pluspunkte, für Umweltverstöße hingegen Punktabzug. Die Summe aller Punkte ergibt die Gemeinwohl-Bilanz.
Welche Vorteile hätte ein gemeinwohl-orientiertes unternehmen?
Eine positive Bilanz könnte einem Betrieb z. B. Steuervorteile oder bessere Konditionen bei Krediten verschaffen und so Anreize geben, gemeinwohlorientiert zu handeln. Bei dem Verein Gemeinwohl-Ökonomie können Unternehmen sich bereits heute freiwillig Gemeinwohl-bilanzieren lassen.
Der Designer Curro Claret (aus Barcelona) wäre ein guter Kandidat:
Denn Shoelaces Lamps ist eine Kollektion von Lampen, die als Teil eines Interiordesignprojektes aus Bestandsresten der Schuhfirma Camper hergestellt wurden, welches er gemeinsam mit auf der Straße lebenden Menschen umsetzte. Damit hat seine Arbeit nicht nur einen ökologischen, sondern auch einen sozialen Nutzen. In einer Gemeinwohl-Bilanzierung würde er eine hohe Punktzahl erzielen.
Unravel
Meghna Gupta, Indien, 2012
„Vielleicht ist das Wasser zu teuer, um ihre Kleider zu waschen?“
In einer kleinen Industriestadt in Nordindien, Panipat, recyceln hunderte von veralteten Spinnereien alte, abgelegte Kleider aus westlichen Ländern zurück zu Garn.
Unravel folgt der Kleidung auf ihrer Reise durch Indien und zeigt, wie westliche Konsumgewohnheiten auf der anderen Seite der Welt wahrgenommen werden. Reshma, eine junge und scharfsinnige Arbeiterin in einem dieser Recycling-Spinnereien, träumt davon, in die Länder zu reisen, aus denen die Kleider stammen. Während Reshma und andere Frauen arbeiten, entfachen die Kleider in ihren Vorstellungen Bilder über den Westen.
Mit Upcycling zum Postwachstum?
Sind Recycling und Upcycling Möglichkeiten, Ressourcen zu sparen, und so ein Prinzip des Postwachstums umzusetzen?
Vergleicht man die Ökobilanzen von Briefumschlägen aus Primärpapier, Recycling-Papier und Upcycling-Papier (z.B. alte, nicht mehr aktuelle Landkarten), lässt sich herausfinden, wie ressourcenschonend Recycling und Upcycling wirklich sind.
Die Produktion eines Recycling-Briefumschlages ist weniger umweltbelastend als die eines Umschlags aus Primärpapier, da für die Herstellung des Papiers kein Holz und weniger Energie und Chemikalien verbraucht werden. Der Upcycling-Briefumschlag wiederum ist in seiner Herstellung ressourcenschonender als der Recycling-Umschlag: Die Umweltbelastungen aus der Materialproduktion entfallen komplett, da bereits fertiges Papier verarbeitet wird.
Dennoch ist Upcycling nicht immer ökologisch sinnvoller als Recycling. Denn Deutschland hat einen enorm hohen Papierverbrauch. Um diese Mengen zu produzieren, sind Papierabfälle wertvolle Sekundärrohstoffe. Daher ist echtes Recycling mindestens gleichwertig wie Upcycling.
MCL Coffee Dregs stellt aus Kaffeesatz Schalen und Lampenschirme her. Upcycling-Techniken wie diese schonen die Ressourcen. Außerdem kann man viele Upcycling-Designs als Prosument selber leicht nachbauen. Damit fügt sich Upcycling wunderbar in ein System vieler kleiner Schritte Richtung Postwachstumsökonomie.
Drei Flügel im Wind
Einer der Schritte zum Degrowth ist es, das richtige Verhältnis von Fremd- und Selbstversorgung zu finden, vom Konsumenten zum produzierenden Konsumenten oder Prosumenten zu werden.
Der Schotte Hugh Piggott entwickelte das Konzept zum Selbstbau einer Kleinwindturbine, welches nun weltweit kopiert wird – ob in den USA, Tanzania oder auch in Deutschland, z.B. in Workshops mit der Naturschutzjugend oder an einer Waldorfschule.
Mehr Glück mit weniger
Was ist Glück?
Dem Weltglücksreport 2017 der Vereinten Nationen (UN) zufolge sind das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf, die Lebenserwartung und das Fehlen von Korruption in Regierung und Wirtschaft Kriterien zur Glückbemessung. In der Auswertung zeigt sich, dass soziale Faktoren wie Großzügigkeit, soziale Unterstützung und Ehrlichkeit die Zufriedenheit der Bevölkerung erhöhen.
Norwegen, Dänemark, Island und die Schweiz werden demnach als die glücklichsten Länder identifiziert. Der Report vermerkt, dass das Glückslevel der Menschen in den USA hingegen aufgrund von Korruption und fehlender Sozialstrukturen gesunken ist.
Was hat Glück mit Postwachstum zu tun?
Die Degrowth-Bewegung bringt hier den Suffizenz-Begriff mit ins Spiel. Bewusst nur das zu konsumieren, was man wirklich braucht, kann zufrieden machen. Das Wohlbefinden kann erhöht werden, indem eine gesunde Life-Work-Balance erstrebt wird, zum Beispiel durch eine 20-Stunden-Woche.
Viele Aktivist*innen, Kampagnen, Designer*innen und Künstler*innen greifen die Idee des Glücks durch Verzicht auf; von Experimenten, wie es sich ohne Geld leben lässt, bis zu der Kampagne Modeprotest, die eine Garderobe von maximal 50 Kleidungsstücken vorschlägt.