The Green Workshop Wendland
27. Juli 2016Santai
2. November 2016Facts
3. Cradle to Cradle Kongress 23./24.09.2016
Ort: Leuphana Universität Lüneburg
Bereich: Kreislaufwirtschaft
Website: www.c2c-kongress.de
Facebook: www.facebook.com/C2C.eV , #c2ck16
3. Cradle to Cradle Kongress in Lüneburg
Ende Oktober reiste ich mit ökoRAUSCH Think Tanker Marc und Praktikantin Anne zum Cradle to Cradle (C2C) Kongress nach Lüneburg. Nach einiger Zeit Cradle to Cradle Veranstaltungsabstinenz war ich besonders gespannt darauf, wie sich die Szene weiter entwickelt hatte.
Bereits zum dritten Mal hatten etwa 100 ehrenamtliche Helfer aus den mittlerweile 36 Regionalgruppen des C2C e.V. den Kongress an der Leuphana Universität in Lüneburg auf die Beine gestellt. Daher war die Willkommensatmosphäre auch fast die eines großen Klassentreffens. Um so schöner daher, dass bei der Tombola zu Kongressende eine Cradle to Cradlerin den Hauptgewinn abräumte: einen Herman Miller Bürostuhl.
Das Publikum war sehr durchmischt. Unter den über 700 Teilnehmern waren Start Up Gründer mit konkreten Ideen und Fragen oder Angestellte aus großen Konzernen, die sich Futter zur Überzeugung ihrer CEOs holen wollten. Menschen, die noch gar nichts über Cradle to Cradle wussten, trafen auf Utopisten, Zweifler auf junge Engagierte. In den Willkommensbeuteln gab es Glasflaschen, die an bereitgestellten Stationen mit Sprudel oder stillem Wasser – wahlweise auch mit Leitungswasser an den hauseigenen Leuphana Wasserspendern – aufgefüllt werden konnten.
Der Kongress wartete mit einigen prominenten Persönlichkeiten auf. Prof. Dr. Michael Braungart ließ sich die Eröffnung nicht nehmen und brachte das Prinzip seiner gebrandeten Kreislaufwirtschaft wie immer mit einigen hanebüchenen aber umso eingängigeren Beispielen näher: »Schütz‘ die Umwelt, mach weniger Müll, schütz‘ die Umwelt, verbrauch‘ weniger Energie. Das ist kein Schutz. Das ist so, als ob ich sagen würde: Schütz‘ dein Kind, schlag es nur fünfmal anstatt zehnmal. Oder deine Frau, je nach dem […] Klimaneutralität ist totaler Blödsinn. Haben Sie schon mal einen klimaneutralen Baum gesehen? Mit all unserer Intelligenz wollen wir dümmer als Bäume sein. Ein Baum ist immer nützlich fürs Klima, nicht weniger schädlich.«
Journalist und Energieexperte Dr. Franz Alt führte mit geistreichen Anekdoten durchs Programm, Fernsehköchin Sarah Wiener war ebenso Publikumsmagnet wie das stimmungsvolle Abschlusskonzert von Bela B & Danube’s Banks, die zur Unterstützung des Vereins aufriefen.
Doch trotz der ungezwungenen Stimmung ging es in erster Linie um Inhalte. So war der Kongress thematisch breit aufgestellt und es wurde versucht, jedes relevante Feld abzudecken. So gab es Impulsvortäge von Prof. Dr. Martin Stuchtey zu Circular Economy und von Wolfgang Grupp zu TRIGEMA – einer aus der Sicht eines Wissenschaftlers, der andere aus der Sicht eines selbsternannten »einfachen Arbeiters«. Im Anschluss fanden Panel zu den Themen Textil, Plastik, Energie und Politik sowie Expertengespräche zu Bau, Produktentwicklung, Design und Bildung statt.
Effizienz vs. Effektivität
Ein Beispiel, das als Einleitung ins Thema immer wieder gern auftaucht, ist das der Waschmaschine: Einer der Kernunterschiede von Cradle to Cradle zu vielen anderen Nachhaltigkeitskonzepten ist das Infragestellen der Langlebigkeit von Produkten und damit dem Unterschied zwischen Effizienz (weniger schlecht) und Effektivität (positiver Fußabdruck): Ist es denn – neben effizient – auch tatsächlich effektiv eine Waschmaschine derart zu gestalten, dass sie 20 Jahre hält, wenn erfahrungsgemäß alles 8 Jahre ein technischer Sprung zu erwarten ist, der beispielsweise deren Energieeffizienz deutlich steigert? Warum also die letzten 12 Jahre mit einem Gerät verbringen, das mehr Energie verbraucht, als ein neues?
Ein Lösungsansatz und weiterer Kerngedanke von Cradle to Cradle ist Nutzen statt Besitzen. Schließlich haben wir eigentlich gar kein Interesse an der Plastikverschalung, der Edelstahltrommel, den Gummidichtungen und Schläuchen, sondern einfach nur an der Möglichkeit unsere Wäsche zu waschen. Unsere heutigen Konsumkonzepte sehen einfach nur gewohnheitsmäßig vor, Dinge zu besitzen.
Aber wie wäre es denn, Hersteller würden einem nun nicht die Waschmaschine an sich verkaufen, sondern nur „2000 Mal waschen“. Das Gerät selbst wäre und bliebe Eigentum des Herstellers – ein Leasingmodell. Sobald also ein verbessertes Gerät verfügbar ist, tauscht es der Hersteller aus und nimmt damit all das Plastik, Stahl und Gummi zurück. Er verwendet die Materialien unseres alten Gerätes als wertvolle Rohstoffquelle für die neue Generation und erfüllt damit einen weiteren Cradle to Cradle Grundsatz: Abfall ist Nährstoff. Nicht nur das: der Hersteller selbst weiß nun am allerbesten, was er in der alten Generation verbaut hat und wie genau die Materialien in den beiden Grundkreisläufen aufzubereiten sind: der Biosphäre für alle Materialien, die in die Umwelt verschleißen und der Technosphäre für alle anderen.
Großer Vorteil: Es gibt keine Querkontamination durch Fremdprodukte. So lassen sich die Materialien in derselben Reinheit und Qualität zurückgewinnen und neu in die Kreisläufe zurückführen. Darüber hinaus: Wenn der Hersteller von vorn herein weiß, dass er seine verwendeten Materialien zu 100% zurück bekommt, wie hoch ist wohl der Anreiz Stoffe zu verwenden, die sich schwer entsorgen lassen – beziehungsweise nicht in die Kreisläufe passen?
Cradle to Cradle in der Produktentwicklung
Das Expertengespräch zum Thema Produktentwicklung wurde von Mike Blicker und Tom Ohlendorf, wissenschaftliche Mitarbeiter der Environmental Protection Encouragement Agency (EPEA) »The cradle of cradle to cradle«, geleitet. Die EPEA ist die institutionalisierte Forschungs- und Zertifizierungsinstanz von Cradle to Cradle. Produktentwickler können sich an die Chemiker, Stoff- und Prozessspezialisten der EPEA wenden, um sich bei den Inhaltsstoffen ihrer Produkte und der Sinnhaftigkeit ihrer Produktzykluskonzepten beziehungsweise Nutzungsszenarien im Sinne von Cradle to Cradle beraten lassen.
Laut eigener Angaben schlummern in der EPEA-eigenen Datenbank Analysen von etwa 9500 Produkten und über 200.000 Materialien. Meine Nachfrage, ob denn „Bemühungen“ zu erwarten seien Teile dieser Datenbank open source zu Verfügung zu stellen, wurde verneint. Zum einen unter Verweis auf Geheimhaltungsvereinbarungen mit Kunden – ein absolut nachvollziehbares Argument. Zum andren wegen zu komplexer Nutzungsszenarien. So könne ein Material in einem bestimmten Nutzungsszenario vollkommen okay sein, in einem anderen aber eher schädlich. Letzteres ist mir persönlich schwer zugänglich. Natürlich wird es Materialen geben, auf die das zutrifft. Aber von diesen 200.000 soll es keine – sagen wir 10% – geben, die unbedenklich mit Verweis auf positive Nutzungsszenarien veröffentlicht werden können?
Im Zuge meiner Recherche fand ich auf www.c2ccertified.org eine Auflistung aller bisher zertifizierten Produkte/Materialien. Ein erster Schritt in Richtung einer umfangreichen Datenbank?
Ein junger, engagierter Modedesigner aus Berlin war ähnlicher Meinung. Gerade junge Start Ups seinen heutzutage Schmieden von Innovationen und gerade für diese sei der Cradle to Cradle Weg kein leichter! Ein Start Up kann sich selbst den Quick Scan, der jedem Zertifizierungsprozess voran geht, nicht leisten. Je nach Komplexität des Produktes kostet er allein zwischen einem kleinen und mittleren vierstelligen Betrag. Auch ein junger Angestellter eines Werkzeugherstellers hatte Fragen zum „Wie“ des Einstiegs in Cradle to Cradle. Ihm fiele es schwer zu entscheiden, bei welchen der zahlreichen Komponenten – sagen wir eines Akkubohrers – er beginnen solle. Die beiden Experten rieten bei der Verschalung anzusetzen, da es in direkten Hautkontakt mit dem Nutzer käme. Elektronische Bauteile seien grundsätzlich schwierig. Diese in näherer Zukunft in eine sinnvolle Kreislaufwirtschaft zu bringen sei sehr kompliziert. Der Rat einer jungen Frau, die gerade zuvor auf einer Fachtagung im Bereich Mobiltelefone war: »Erstmal solange nutzen, wie es irgend geht. Bis unsere technischen Möglichkeiten soweit sind, ist es noch ein langer Weg.«
Cradle to Cradle in der Politik
Für mich persönlich war am spannendsten zu erfahren, dass Cradle to Cradle in der Politik angekommen ist und Personen wie Hiltrud Lotze, Mitglied im Umweltausschuss des Bundestages, und Reinhold Rünker, Gruppenleiter im Wirtschaftsministerium NRW, hitzig über die richtige Umsetzung und Fördermöglichkeiten diskutieren. Laut Frau Lotze könnten Politiker nur dann eine informationsbasierte Entscheidung in eine innovative Richtung treffen, wenn sie so breit wie Möglich über Alternativen zur aktuellen Herangehensweise informiert seinen und ermunterte daher, in Dialog zu treten. Mitglieder der freien Wirtschaft stehen politischen Akteuren oft kritisch gegenüber. Norbert Rethmann der Rethmann Gruppe, ebenfalls Panelteilnehmer, kommunizierte dies recht deutlich: »Sie können gerne neue Gesetze erlassen, aber wir in der Wirtschaft sind dann ohnehin schon drei Jahre weiter.«
Fazit
Was sich meiner Wahrnehmung nach wie ein roter Faden durch sämtliche Beiträge zog, war ein deutlicher Appell zu Eigeninitiative und mehr Verantwortung der Hersteller – ein „call to action“ gepaart mit Zuversicht in die Idee – und die Zeit.
Wolfgang Grupp forderte in seinem Beitrag »…Unternehmer, die mit ihrem Privatvermögen für ihre Entscheidungen haften.« und wieder mehr »Anständigkeit« in Unternehmensführungen zu etablieren. Hier konnte er sich mit Norbert Rethmann die Hand geben: »Hersteller müssen Verantwortung für ihre Produkte übernehmen! Wenn Autohersteller von der Politik gezwungen wären ihre Autos nach der Nutzung zurückzunehmen, würden sich die Designer und Ingenieure ganz andere Gedanken machen! Außerdem ist Müllverbrennung einfach zu billig! Der freie Markt könnte in einer unglaublichen Geschwindigkeit zu neuen Recyclinglösungen kommen, wenn Müllverbrennung nicht 60€/Tonne, sondern 120€/Tonne kosten würde!«
Dr. Franz Alt fand dafür die Worte »Wissen tun wir viel, umsetzen tun wir noch relativ wenig.«
Prof. Dr. Martin Stuchtey hatte zuversichtliche Gedanken zum bevorstehenden Paradigmenwechsel »Wir schütteln heut den Kopf über Dinge, die wir gestern noch selbstverständlich fanden.« und fand auch, dass wir auf einem guten Weg sind: »Wir glauben immer, um einen Wendepunkt herbei zu führen müssten wir 100% überzeugen. Aber das stimmt nicht. Tatsächlich braucht man nur 10% zu überzeugen. Und in vielen Bereichen sind wir schon bei 9%.«
Und wie so oft kommt man am Ende wieder zum Anfang, in diesem Fall zu Prof. Dr. Henrik von Wehrden, dem Dekan für Nachhaltigkeit an der Leuphana Universität Lüneburg: »Der Weg zur Nachhaltigkeit ist wie ZEN: Wir erreichen das Ziel nie, aber wenn wir permanent darüber reflektieren, können wir immer mehr in diese Richtung gehen.«