Alternativer Konsum & Prosumer
16. November 2017Design für den Wandel
8. Januar 2018Diesen spannenden Artikel verdanken wir unserem Referenten Fred Grimm, der diesen Essay extra für den Katalog des diesjährigen ökoRAUSCH Festivals verfasst hat*.
Natürlich ist das alles wunderbar: Fairtrade-Kaffee, Biofleisch, Veganer-Supermärkte, Ökomode, Upcycling, Kleiderzirkel, »nachhaltiges« Reisen, Carsharing, Kosmetikfasten, Zero-Waste-Supermärkte undundund. Der ethisch-ökologisch inspirierte Lebensstil gilt als etabliert, gefeiert in unzähligen Büchern, auf »Heldenmärkten« und bei Designfestivals. Man hat sich eingerichtet; in einer Nische abseits der Verschwender und Weltzerstörer, moralisch abgesichert durch einen seit Jahrzehnten nicht abreißenden Strom konsumkritischer Manifeste – kritisch vor allem gegen den Konsum »der anderen«. In den Texten liest man, wie der »Konsumterror« den Menschen »entwürdigt und verdummt« (Wolfgang Schmidbauer), wie uns die ganze »Sinnlosigkeit des Konsumstrebens« vom wahren Glück abhält (Harald Welzer) und uns »vereinsamt«, (Zygmunt Bauman), bis wir am Ende unter dem »Konsum-Burnout« zusammenbrechen (Niko Paech). Es ist »die Last des Überflüssigen«, die den modernen Menschen angeblich so plagt. Die »Leere« des »nur noch mit der Befriedigung ständig aufs Neue geweckter Bedürfnisse« beschäftigten Menschen wird in der Konsumkritik so ausdauernd besungen wie sonst nur die Liebe im deutschen Schlager.
Eine Frage, die mich allerdings immer mehr beschäftigt, seit ich über einen anderen Konsum als Schlüssel zu einem ethisch-ökologisch sinnvolleren Leben nachdenke, lautet: Wer bestimmt eigentlich genau, welche Produkte »Überflüssig« sind und nur »falsche Bedürfnisse« wecken – und welche nicht? Ist die japanische Sichelhacke von Manufactum, mit der das Unkraut im urbanen Gemeinschaftsgarten ausgerottet wird, okay? Die Seidenbluse von H&M aber nicht? Fällt die Jeans aus Japan mit extra schwerem Denim noch unter ehrbares Handwerk oder schon unter Verschwendung? Sind fünf Hoodies von Armedangels besser als zwei von Primark? Und darf sich die Call-Center-Mitarbeiterin einen neuen Nagellack bei Douglas kaufen, damit sie sich während ihres kreuzöden Jobs wenigstens über ihre hübsch gemachten Hände freuen kann? Oder fällt das bereits unter Ich-Schwäche und Kaufrausch?
Als Anhänger eines alternativen Konsumverhaltens leben wir in einem dauernden Widerspruch zwischen gefühlten Wahrheiten und nackten Zahlen. Der Anteil von Bioprodukten am deutschen Lebensmittelmarkt liegt allen Erfolgsmeldungen zum Trotz noch immer auf Höhe der momentanen Umfragewerte für die FDP. Der Marktanteil von Ökomode stagniert im Bereich der Partei bibeltreuer Christen. Vielleicht haben es die gut gemeinten Alternativentwürfe zu unserer Konsumgesellschaft ja auch deshalb so schwer, weil ihre Prämissen so lebensfern scheinen. Wer beim Antikonsum vor allem den »Billigkonsum« meint und etwa nach dem Lasagne-Pferdefleisch-Skandal anmerkt, für 1,99 Euro dürfe man nun mal nichts besseres erwarten, demonstriert damit einen Blick »von oben«, eine geschmackliche, kulturelle und soziale Arroganz, die auch nach hundert Jahren verbitterter Konsumkritik, keine Antwort auf die wichtigste aller Fragen findet: Welche Glücksversprechungen halten wir eigentlich für jene Menschen bereit, die ihr Gemüse eben nicht im eigenen Garten ziehen mögen oder können, Professorenpullover nicht für das Höchstmaß ästhetischer Selbstinszenierung halten und denen für viele Segnungen des ethisch-ökologischen Konsums schlicht das Geld fehlen dürfte? Anders gefragt: Wollen wir unsere gemütliche grüne Nische und den angewiderten Blick auf »die anderen« behalten oder wollen wir endlich die ganze, die bessere Welt?