Grüne Werkstatt Wendland
27. Juli 2016Ministerium für Glück & Wohlbefinden
15. August 2016Facts
Künstler: Herman Josef Hack
Website: hermann-josef-hack.de
Von Beuys’ Sozialer zu Hacks Globaler Sozialer Plastik
Der Künstler Hermann Josef Hack wollte die Begrenztheit des akademischen Kunstbetriebes mit seiner auf den offiziellen Kunstbetrieb (Galerie, Kunstverein, Museum, Kunstmarkt) beschränkten Reichweite in seinen Projekten sprengen. Für ihn war klar, zunächst diesen traditionellen Kunstbetrieb zu verlassen und von außen einen visionären Ansatz zu entwickeln, der auf der Beuys’schen Sozialen Plastik aufbaut, welche Kunst als Anstoß zu einem gesellschaftlichen Wandel versteht. Dieses plastische Umgehen mit gesellschaftlichen Veränderungen wollte Hack weiterentwickeln zu einer Globalen Sozialen Plastik.
Hacks Haltung ist im Gegensatz zu Beuys und fast allen anderen Künstlern nicht autistisch selbstreferenziell. Er war stets misstrauisch gegenüber der Figur des Schamanen oder Meisters, der als Lichtgestalt in den engen Zirkeln des hermetischen Kunstbetriebes persönlich verstrickt bleibt.
„Mein Atelier ist die Welt.“
Hacks Ausdrucksform basiert auf der Zeichnung und Malerei, welche er als Werkzeuge nutzt, um Ideen zu skizzieren und seine Beobachtungen und Visionen in einer für andere lesbaren Sprache sichtbar zu machen. Gleichzeitig nutzte Hack als einer der Ersten die neuesten Kommunikationsmedien wie Satelliten, Bildtelefone, interaktives Fernsehen (Van Gogh TV, documenta IX) und später Internet (Virtuelles Dach – 1993, Virtuelles Hochhaus über dem Reichstag – 1994), um mit diesen technischen Innovationen, die in exponentiellem Maße die ganze Welt erreichen, auf einem systemunabhängigen Weg Menschen an seinen Kunstprojekten teilnehmen zu lassen („Mein Atelier ist die Welt.“).
Das Unbehagen am einengenden Raum der Akademie trieb Hack in eine andere Richtung. Er wollte lernen, „wie das Leben außerhalb funktioniert“ und begann ein Studium mit Praxisausbildung bei der Deutschen Bundesbahn (DB) zum Betriebswirt. Ihn interessierte vor allem, wie man die internationale Vernetzung der Eisenbahn, die an jedem größeren Ort präsent ist, als Infrastruktur für kulturelle Projekte nutzen könnte. Damals repräsentierte die DB das größte deutsche Logistik- und Transportunternehmen mit eigenem Kommunikationsnetz. Schon damals suchte Hack ein neues Material als Bildträger, das die klassische sperrige Leinwand auf Keilrahmen ablöst. In diesen Jahren experimentierte er mit verschiedenen Kommunikationstechniken und Werkstoffen, bis er Anfang der 1990er Jahre Tarpaulin, Lkw- bzw. Zeltplane, als sein Material entdeckte. Seinen Blick richtete er weiterhin auf die globale Dimension.
25 Jahre Global Brainstorming Project
Aus der bewussten Entscheidung, einen Denkraum zu schaffen, der die gesamte Erde umspannt, und der eine Einladung an alle darstellt, sich an den darin stattfindenden offenen Projekten zu beteiligen, gründete Hack 1991 das Global Brainstorming Project (GBP). Wie der Name schon sagt, mit globalem Ansatz, der niemanden ausschließt und insofern nicht ohne Selbstironie anmaßend eine Alternative zur Ineffizienz der maximalen Interessenvertretungen aller Menschen (z.B. durch die Vereinten Nationen oder die NATO) in den Raum stellt.
Vor dem Hintergrund der Erkenntnisse des Club of Rome (Limits of Groth, 1972) und den ersten Anzeichen des Treibhauseffekts richtete Hack seine Kunst als Kommunikationsplattform für Kunst und Forschung, für eine Gesellschaft im Wandel, zum Verständnis der aktuellen Zukunftsfragen und vor allem als Einladung zur gemeinsamen Ideenfindung für Lösungen der globalen Herausforderungen aus (Kunst als Think Tank, Gegenmodell zum autistischen Künstlerbegriff). Insofern suchte und fand er den Kontakt zu Wissenschaftlern und Forschern, die an diesen Themen arbeiten, und nutzte als Pionier die neuesten Kommunikationsmedien, um die Öffentlichkeit z.B. mit Polarforschern, die das Ozonloch messen, oder Meeresforschern, die den Klimawandel untersuchen, live an ihren exotischen Arbeitsplätzen zu verbinden. Auf der documenta IX 1992 war Hack mit seinem GBP am weltweit ersten interaktiven Fernsehprojekt Van Gogh TV – piazza virtuale – beteiligt, um – einige Jahre vor dem Internet – direkte Kommunikation in Form von Brainstormings von hochrangigen Experten mit dem Fernsehpublikum oder Museumsbesuchern herzustellen. Hack geht aber nicht nur ins Museum, sondern vor allem auf die Straße, wo die Leute sind, um diese aktiv in die Kommunikation einzubinden.
Das Global Brainstorming Project bildet das Dach für eine Kette von Projekten, die sich in unterschiedlichen Ausführungen und unter Nutzung der verschiedenen Gattungen der bildenden Kunst vor allem mit den sozialen Auswirkungen des globalen Wandels befassen.
Mit dem Anspruch, die Kunst zu öffnen, geht auch die Suche nach neuen Materialien einher. Tarpaulin als wetterfesten, überall einsetzbaren Bildträger, den man zusammenrollen und leicht transportieren kann, hatte sich für ihn bewährt. Neben den neuesten Kommunikationsmedien, die Hack ohne Scheu für ganz andere Zwecke verwendet, macht er sich auch traditionelle Medien zu Nutze. So findet er in über fünfzig Arbeitsbüchern, wie er sie ständig mit sich führt, seine Ideen und Bildzeichen, protokolliert seine Projektentwicklungen, bei denen seine visionären Bilderfindungen (Honeycopter, Flüchtlingszelte vor typischen Sehenswürdigkeiten großer Städte usw.) entwickelt wurden. Es entstehen Malbücher für Polar- und Meeresforscher oder für Astronauten, die Hack diesen auf ihre Missionen mitgibt, oder kleine Päckchen, in denen Hack einmal Gesteinsproben aus tausend Meter tiefen Bohrungen ins Erdinnere oder zum anderen Original-Polarmüll aus der Antarktis zum Preis einer Schachtel Zigaretten vertreibt. Durch derlei Projekte zeigt Hack Wege auf, wie der Einzelne den globalen Wandel wahrnehmen kann, und versucht, Frühwarnsignale auszusenden.
Maler bewohnbarer Bilder
Hack nutzt malerische Lösungen in Verbindung mit Zeichnungen, zeichnerische Lösungen oder freie malerische Lösungen zur Darstellung seiner Ideen bzw. zur Vergrößerung der Flächen von Aktionen, indem er diese vor, während und danach ankündigt, kommuniziert, protokolliert und dokumentiert. Seine Materialfindung ist also Programm: die Bilder entstehen z.T. auf der Straße in der Öffentlichkeit bzw. werden dort gezeigt und normal transportiert, so dass kein Abstand wie bei traditionellen Bildern entsteht.
Mit der Auflösung des Tafelbildes durch die Plane beginnt Hack plastisch zu arbeiten. Indem er seine Bilder vom Boden bzw. von der Wand abhebt, entsteht ein Schutzraum (shelter), wie ihn die Ärmsten in Krisenländern als Unterschlupf nutzen. Das Tafelbild wird dreidimensional erlebbar und neu entdeckt, gleichzeitig erlebt es durch diese Funktionserweiterung zugleich eine Auflösung, in dem es zum Baumaterial einer Notunterkunft wird. Hack nennt diese Arbeiten „Bewohnbare Bilder“.
Aus seinen Bildern formte er in den letzten Jahren Zelte, die er im öffentlichen Raum aufbaut, um auf das aktuelle Flüchtlingselend und den Zusammenhang mit unserer Lebensweise hinzuweisen, teilweise in monumentaler Größe wie in der Kunst-Station Sankt Peter, einer mittelalterlichen Kirche in Köln, deren Mittelschiff Hack mit einer riesigen Zeltinstallation ausfüllte.
Kunst, die Richtung weist
Hack richtet das Augenmerk auf Randgruppen, Ausgegrenzte, die Verwundbarsten der Gesellschaft. So ermöglichte er 1995 freie Internetzugänge für Obdachlose in Hannover und anderen Städten (Virtuelles Dach), nutzt das Internet, welches den Raum auflöst und Entfernungen auf Null zusammenschrumpft. Weltweit betrachtet sind die Ärmsten die Verwundbarsten gegenüber der Klimakatastrophe, vor deren sozialen Auswirkungen Hack seit 2007 z.B. mit seinem World Climate Refugee Camp aus Miniaturzelten warnend durch Europa und die Metropolen anderer Kontinente reist und auf die maximale Entwurzelung durch eine bevorstehende Völkerwanderung hinweist. Seit 2010 ist dieses Projekt zusätzlich mit 200 Zelten in der internationalen Wanderausstellung „Examples to Follow!“ (u.a. mit Yes Men, Olafur Eliasson) auf Tournee.
Vom Malbuch für Flüchtlinge zur Ersten Flüchtlingsakademie der Freien Künste
Gemeinsam mit dem Künstlerkollegen Andreas Pohlmann unternahm Hack einige Reisen, um vor Ort mit den Betroffenen von Bürgerkrieg, Flucht und Klimawandel zu arbeiten, d.h. zunächst mit ihnen auf Augenhöhe zu kommunizieren, ein Projekt gemeinsam zu entwickeln und vor Ort durchzuführen (Malbuch für Flüchtlingskinder auf Sri Lanka, Global Brainstorming Expedition Camp Lima, Policia Agua Lima, Global Brainstorming Beirut Communication Camp) Diese Aktionen wurden in Kooperation mit Hilfsorganisationen wie CARE oder Aktion Deutschland Hilft bzw. mit dem Goethe-Institut durchgeführt.
Im September 2014 hat Hack gemeinsam mit Andreas Pohlmann die Erste Flüchtlingsakademie der Freien Künste gegründet, welche zu den Flüchtlingen hingeht und allen als Kommunikations- und Integrationsplattform offen steht www.erstefluechtlingsakademie.de.
Sorry, 2050!
Mit seinem Projekt im öffentlichen Raum „Sorry, 2050!“ hat Hack die erste Gedenkstätte für die zukünftigen Opfer der Klimakatastrophe geschaffen. Die Öffentlichkeit ist eingeladen, sich an einer Bauzaungitterwand, die Hack als Ablagestelle für Blumen, Kerzen, Kuscheltiere etc. eingerichtet hat, schon jetzt bei den künftigen Opfern für unsere Passivität in Sachen Klimaschutz zu entschuldigen. Durch die hoch emotional wirkende Installation zeigt er, dass diese Opfer nicht in räumlicher oder zeitlicher Ferne weit weg von uns existieren, sondern dass es sich um unsere Babys handelt, die wir persönlich kennen und lieben.
Während die Wahrnehmung von Hacks Arbeit im sogenannten etablierten Kunstbetrieb erst langsam wächst, hat sie durch die mediale Präsens seiner vielfältigen Aktionen bereits seit längerem einen hohen Wahrnehmungsgrad in der Tagespresse neben einigen Fachmagazinen wie Art oder Kunstforum International, in letzter Zeit auch im Deutschen Fernsehen (WDR westart oder 3sat Kulturzeit) erfahren.
Kunst, die nach vorne schaut
Solange die etablierte Kunstszene lieber auf Siegerkunst setzt, also die Kunst der Erfolgreichen, die rückwärtsgewandt nur noch die Bedürfnisse weniger Sammler nach Exklusivität, Luxus und Repräsentation bedient und unverhohlen eine Sache der Reichen und Herrschenden geworden ist, bei denen nur das Besitzen und nicht mehr das Betrachten oder Wahrnehmen zählt, müssen neue Wege gefunden werden. Denn wer, wenn nicht die Kunst, hat die Visionen und Inspirationen für eine lebenswerte Zukunft? Hermann Josef Hack will mit seinen Bildern und Aktionen hierzu beitragen.