CRAFT ACT
10. November 2016Trash Up! Festival im Ruhrgebiet
24. November 2016Facts
Designerin: Sabrina Großkopp
Bereich: Industrial Design/Transdisciplinary Design
Ort: Düsseldorf, Deutschland
Website: www.sabrina-grosskopp.de
Vom Industrial Design zur Zukunft der Urban Agriculture
Seit Beginn meines Masterstudiums an der Folkwang Universität der Künste in Essen, das sich der Transdisziplinären Gestaltung widmet, beschäftige ich mich mit unserer zukünftigen Ernährungssituation, weil ich mit meinem abgeschlossenen Industrial Design Studium idealistischere Ziele erreichen wollte als ausschließlich der freien Marktwirtschaft zu dienen. In meiner Recherche sind mir die aktuellen Verhältnisse, unter denen heute maßgeblich für industrialisierte Gesellschaften Lebensmittel produziert werden, sauer aufgestoßen. Und das entweder, weil wir uns inzwischen an Massen von zu stark verarbeiteten Fertiglebensmitteln krankessen, oder weil unsere Produktions- und Distributionsmethoden von Lebensmitteln (Pestizide, Kunststoffverpackungen, Waldrodung, Langstreckenstransporte usw.) derart gestaltet sind, dass wir diese nicht sehr lange aufrecht erhalten werden können, wenn wir weiterhin unter den für uns gewohnten sozialen und ökologischen Verhältnissen leben wollen. Dazu kommen globale Entwicklungen, derer Auswirkungen wir bereits jetzt Zeugen werden, wie ein drastischer weltweiter Populationsanstieg, Urbanisierung, unvorhersehbarere Witterungsbedingungen und ein Wegfall fruchtbarer Böden durch Erosion oder den Anstieg des Meeresspiegels (vgl. Randers, Jorgen (2012): 2052. Der neue Bericht an den Club of Rome. Eine globale Prognose für die nächsten 40 Jahre. München: Oekom Verlag, S. 163 – 191), die eine schnelle Umgewöhnung auf andere Ernährungsweisen und eine Umgestaltung der Produktionsmethoden dringender machen. Die vielfältigen Methoden zum Anbau von Lebensmitteln in Städten (Rooftop-, Indoor-, Vertical Farming, Aquaponik, Hydroponik uvm.), aus denen sich in den letzten Jahrzehnten ebenfalls eine ganze Menge Bewegungen formten (verschiedene Formen des Community Gardenings, das Konzept der Essbaren Stadt usw.) scheinen vielversprechende Alternativen zu herkömmlichen Methoden der industriellen Lebensmittelproduktion zu sein.
Das Leben in einer Schlaraffenstadt
Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, zu untersuchen, welche überwiegend sozialen Veränderungen, also Veränderungen im alltäglichen Leben, eine komplette Umsattelung auf eine urbane Lebensmittelproduktion nach sich ziehen würde und welche Auswirkungen das auf die Objekt-, Dienstleistungs-, bzw. Umweltgestaltung hätte. Das hört sich erst mal nach Stadtplanung an, aber tatsächlich nutze ich meine angelernten Fähigkeiten als Industrial Designer und beziehe Werkzeuge weiterer Gestaltungsdisziplinen mit ein, um dieses alltägliche Leben in einer sich mit Lebensmitteln selbst versorgenden Stadt anhand einzelner Szenarien greifbarer zu machen. Und dabei möchte ich nicht nur Idealzustände darstellen. Die dargestellten Objekte oder Dienstleistungen dürfen auch einem Szenario entspringen, welches die meisten von uns als weniger vorteilhaft beurteilen würden. Entsprechend der Ziele im noch einigermaßen jungen Feld des Speculative Design (vgl. Dunne, Anthony/Raby, Fiona (2013): Speculative Everything. Design, Fiction, and Social Dreaming. Cambridge, Massachusetts: The MIT Press), sollen die Darstellungen dieser Szenarien das Bewusstsein über die Auswirkungen heutiger Praktiken auf unsere nahe Zukunft wecken und als Grundlage für Verhandlungen über diese dienen.
Freie Nahrung überall?
Was passiert zum Beispiel, wenn sich in 20 Jahren das Konzept der Essbaren Stadt flächendeckend in einer Großstadt in der Form ausgebreitet hat, wie es heute von dessen Vertretern gefordert wird? Zunächst kann man sich die Frage stellen, wieso das Grünflächenamt einer Stadt einen solchen Entschluss fassen sollte. Vielleicht wurde die Anhängerschaft der Bewegung einfach groß genug, um ausreichend Druck auf die Behörden auszuüben. Ausgehend von dieser Annahme, wären alle städtischen Grünflächen mit Nutzpflanzen bepflanzt – Obstbäume im Park, Beerenhecken am Wegesrand, Kräuter an Mauern öffentlicher Grundstücke und so weiter. Die Vorstellung dieses Umstandes wirft jede Menge Fragen auf, was die Gestaltung völlig neuer Dienstleistungen und deren dazugehörige Objekte nach sich ziehen würde. Wird nun zum Beispiel jeder Stadtbewohner einfach nach Lust und Laune pflücken und ernten dürfen? Wie bringt man botanische Laien zum richtigen Umgang mit Pflanzen? Werden sich weiterhin Mitarbeiter des Grünflächenamtes um die Pflege kümmern? Was passiert, wenn freie Früchte, Gemüse und Kräuter aufgrund verschiedener Umwelteinflüsse gesundheitsschädlich verschmutzt würden? Wie werden Laien essbare von nicht essbaren Pflanzen, bzw. Pflanzenteilen unterscheiden können? Was passiert mit nicht geernteter Nahrung? Wie können Stadtbewohner zur stärkeren Nutzung eines solchen, im Vergleich zum Gang zum Supermarkt, weniger komfortablen Angebotes bewegt werden? Wie kann eine Gleichverteilung gewährt und ein Horten und Weiterverkaufen verhindert werden?
Vollautomatische Nahrungsproduktion?
Oder welche Auswirkungen hätte ein Erlass, der besagt, dass alle entstehenden urbanen Gebäude einen gewissen Prozentsatz an Anbaufläche aufweisen müssen, um eine Baugenehmigung zu erhalten? Ein Grund hierfür könnte eine bereits bestehende Lebensmittelknappheit aufgrund des Rückgangs fruchtbarer Agrarflächen sein. Was würden jedoch Eigentümer tun, die grundsätzlich gar kein Bedarf an dieser Anbaufläche hätten? Vermutlich würden sie die Fläche vermieten. Würden das mehrere Gebäudeeigentümer tun, gäbe es eine Menge einzelner Anbauflächen in verstreuten Gebäuden, die es zu bespielen gilt. Unter Umständen würden alle einzelnen Anbauflächen von einem großen Unternehmen angemietet werden, das alle einzelnen Flächen zu einem ausreichend großen Anbauflächennetz verbindet. Da in postindustriellen Gesellschaften Personalkosten hoch sind, würde das Unternehmen, um größtmöglichen Profit aus dem Anbau auf verstreuten Flächen zu schlagen, vermutlich versuchen den Anbauprozess so stark wie möglich zu automatisieren. Das könnte ein Stadtbild schaffen, in welchem Nahrungsmittelpflanzen auf unzähligen Dächern oder Fassaden vollautomatisch gesät, gepflanzt, gepflegt und geerntet werden, um perfekt sortiert über Nahrungsmittellifts in bereitstehende Distributionsvehikel und über diese in den nächsten Supermarkt geliefert zu werden. Da die Größe der einzelnen Anbauflächen auf, an und in Häusern im Vergleich zu zusammenhängenden Flächen der heute üblichen Agrarwirtschaft geringer ist, werden entsprechende Produktionsunternehmen sich die Frage stellen, wie sie ihre Stadtfarmen produktiver machen und vor Produktionsstopps, beispielsweise durch Stromausfälle, schützen können. Kann der vorhandene Raum zum Beispiel wesentlich effizienter genutzt werden, weil kein Bewegungsspielraum mehr für menschliche Gärtner gelassen werden muss? Können aus den Abfällen des Anbauprozesses Nährstoffe für die Pflanzen und Strom für das Anbausystem gewonnen werden? Und würden Kunden den Produkten einer vollautomatischen Stadtfarm den Vorrang vor Produkten einer Farm auf einem anderen Kontinent geben?
Aquaponik oder was?
Als Aquaponik-Praktikantin bei Mediamatic in Amsterdam erlebe ich den Alltag in einer Stadtfarm zurzeit am eigenen Leib. Hier liefern die Abfallstoffe von Fischen die notwendigen Nährstoffe für Pflanzen, die in vertikal angeordneten Beeten wachsen. Alles, was hier produziert wird, wird im Mediamatic Restaurant verarbeitet. Durch die permanente Wasserzirkulation zwischen Fischtanks und Pflanzbeeten, wird im Vergleich zum Anbau auf dem Acker jede Menge Wasser gespart und erspart dem Gärtner zumindest das regelmäßige Wässern der Pflanzen. Dennoch ist das tägliche Wartungsaufkommen der Anlage und das notwendige technische und botanische Wissen nicht zu unterschätzen. Als Industrial Designerin beschäftige ich mich hier überwiegend damit, Umstände zu gestalten, die die täglichen Arbeiten auf der Farm vereinfachen und das Zusammenspiel zwischen Farm und Restaurant intensivieren. Eine stärkere Automatisierung kann die Arbeitszeit verkürzen und die Bedienung des Anbausystems komfortabler machen. Würden wir uns dadurch jedoch wiederum ideell von unserer Nahrungsquelle entfernen nachdem wir uns ihr räumlich durch die Verlagerung in die Stadt näherten?
Hin zum Essen aus der eigenen Stadt
Um der Vision einer sich mit Lebensmitteln selbst versorgenden Stadt näher zu kommen, wird man nicht nur mit einer Anbaumethode auskommen. Man wird alle bestehenden Konzepte, von privat bis kommerziell, von Innenräumen bis Außenräume, von Dach bis Keller und von klein bis großflächig benötigen und weiterentwickeln müssen. Dazu zählen auch bestehende Infrastrukturen, soziale Praktiken wie die bestehende Art der Arbeitsteilung und vor allem Ernährungsgewohnheiten.
Die folgenden Links bieten in dieser Hinsicht einen Überblick über besonders nennenswerte Projekte:
Projekt „Essbare Stadt“ in Kassel
Projekt „Essbare Stadt“ in Andernach
Aquaponics Farm von Mediamatic in Amsterdam
Aquaponics Farm der Urbanisten in Dortmund
Projekt „ReGen Villages“ in Almere von den Effekt Architekten
Vertical-Farm-Bauer Infarm in Berlin